«Neulich in der Zeitung»

Porträt über Puppenspiel.ch im St. Galler Tagblatt

Das Glück der Leidenschaft

(St. Galler Tagblatt, „Fokus“, 27. Juli 2015)

Simon Engeli und Rahel Wohlgensinger verbinden Puppenspiel, Musik und Schauspiel in ihren Projekten, die sie allein oder gemeinsam machen. Zu sehen sind sie gerade im See-Burgtheater Kreuzlingen.

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Für das Foto gehen wir nach drinnen. Packen in der Theaterwerkstatt Gleis 5 die Puppen aus. Setzen sie in den Zuschauerraum dieser – in ihrer Selbstdeklaration – «Kulturstätte der besonderen Art», die einmal ein Bahndepot war.

Weihnachtsgans & Co.

Die Weihnachtsgans Auguste ist da, der Hund Monty, der Steinbock aus «Laina Viva», dem Open-Air-Spektakel zum 100-Jahr-Jubiläum des Nationalparks. Ausserdem der ziemlich schwere Teufel, dessen Kopf ständig vornüber zu kippen droht. Und ein grämlicher Herr unbekannten Namens, den wir neben ihn setzen. Inmitten dieser Menagerie: Rahel Wohlgensinger und Simon Engeli.

Klara bleibt draussen im Kinderwagen. Sie ist ein ruhiges, liebes Kind von vier Monaten – die dritte nach der siebenjährigen Anna und dem vierjährigen Vinzent. Sie werden am Abend dabei sein, wenn wieder eine See-Burgtheater-Vorstellung von «Romeo und Julia auf dem Dorfe» am Kreuzlinger Seeufer ansteht – Anna als Klein-Vreneli im ersten Teil auf der Bühne, Vinzent gut behütet im Hintergrund. Und wenn Rahel Wohlgensinger in der Rolle der Frau Marti gestorben ist und nach Hause gehen kann, werden die Kinder noch bleiben. Warten, bis alles fertig ist, und bis der Vater als der «Schwarze Geiger» den letzten Ton gespielt hat.

«Glück gehabt mit den Kindern»

So geht das mit den Theaterkindern – so lange Theater ist, bringt man sie nicht ins Bett. «Wir haben Glück gehabt mit unseren Kindern», sagt Rahel Wohlgensinger. «Anna spielt mit grosser Ernsthaftigkeit mit. Vinzent kann ich problemlos mitnehmen, wenn ich probe. Er sitzt dann mit seinem Teddybären in der ersten Reihe und schaut zu. Und Klara ist ein Schatz.»

Glück gehabt haben die beiden auch damit, dass sie ihre Leidenschaft gefunden haben – und dass sie sie zum Beruf machen konnten. Es war ein Weg mit ein paar Irrwegen. Die aber wieder einmal bestätigen: Wer beharrlich sucht, der findet auch.

An der Scuola Teatro Dimitri

Simon Engeli, 1978 in Romanshorn geboren, hat schon in der Kantonsschule viel Theater gespielt, sein Vater war Hobbyregisseur. In den Wanderwochen sind sie nach Verscio geraten, zur Scuola Teatro Dimitri. «Die Schüler waren im zweiten Ausbildungsjahr und haben in einer Vorstellung gezeigt, was sie alles können. Ich war völlig begeistert, denn ich habe gespürt: Ich kann kein konventioneller Schauspieler werden, sondern will etwas machen mit dem Körper – und mit der Musik.»

So hat er seinen Ort gefunden. Und eines Tages – er war in Verscio gerade allein im Sekretariat – ist da eine junge Dame aufgetaucht, die er kurz zuvor nach einem Auftritt seiner Folk-Band in Rorschach kennengelernt hatte. Rahel Wohlgensinger, zwei Jahre jünger als er, hatte Querflöte studiert und «keine Ahnung, was ich einmal machen wollte».

Querflöte zu unterrichten, das konnte sie sich nicht vorstellen. Was aber sonst? Die Scuola Teatro Dimitri war es dann auch nicht, vor dem Akrobatischen hatte Rahel Wohlgensinger eher Angst. «Ein Lehrer hat mir den Rat gegeben, es mit Puppenspiel zu versuchen. So bin ich nach Berlin gegangen, wo es eine Ausbildungsstätte gibt.» Übrigens im ehemaligen Ostberlin. Denn in den Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft ist das Puppenspiel in der DDR und in anderen Ländern Osteuropas zur subversiven Kunst für Erwachsene avanciert.

Simon Engelis erste Rolle

Während bei uns viele Erwachsene das Puppenspiel ausschliesslich der Sphäre der Kinder zuordnen. Ganz zu Unrecht. «Wir arbeiten beharrlich daran, auch ein erwachsenes Publikum zu gewinnen», sagt Rahel Wohlgensinger. Auch Simon Engeli ist für zwei Jahre in Berlin gewesen, zur Weiterbildung im Bereich Sprechtheater. Dann, 2005, hat er sich als freischaffender Schauspieler selbständig gemacht – und sehr rasch eine erste kleine Rolle beim See-Burgtheater bekommen.

Zehn Jahre, zehn Programme

Als «Theater Spalanzani» haben sich die beiden gemeinsam auf den beruflichen Weg gemacht. In zehn Jahren sind auf diese Weise ebenso viele Theaterproduktionen entstanden, in denen sie Schauspiel, Musik und Puppenspiel miteinander kombinieren. «Puppenspiel.ch», wie es heute heisst, ist an Kleintheatern und Schulen unterwegs.

Angefangen hat es 2004 mit «Das öde Haus» (nach einer Erzählung von E. T. A. Hoffmann), dann kamen «Frau Meier, die Amsel» (nach dem Kinderbuch von Wolf Erlbruch), «Die Weihnachtsgans Auguste», «Herr Eichhorn und der erste Schnee», zuletzt «Gut gebrüllt, Löwe!» und anderes mehr.

Wie entstehen diese Programme? «Wir lesen viel», erzählt Simon Engeli. «Es gibt immer so vier, fünf Projekte, an denen wir herumstudieren. Rahel kann durchaus nachts um halb zwölf mit einer Idee daherkommen.»

Die eigenen Projekte

Aber jeder von ihnen verfolgt daneben auch seine eigenen Projekte. Engeli zum Beispiel als Gast an Theatern und als Musiker in der Irish-Folk-Band A Little Green, sie mit Gastspielen in der Schweiz und Deutschland. So sprudelt das Reservoir ihrer individuellen wie ihrer gemeinsamen Kreativität munter weiter – wobei es immer auch darum geht, die Familie ökonomisch über die Runden zu bringen.

Im Moment aber geniessen es Simon Engeli und Rahel Wohlgensinger vor allem, bei wundervollem Wetter in Kreuzlingen «Romeo und Julia auf dem Dorfe» zu spielen. Simon Engeli denkt zurück an «Laina Viva» im Engadin: eine schöne Erfahrung. Aber: «Ausser an zwei Tagen hat es immer geregnet. Und es war ziemlich kühl.»